… egal, in jedem Fall sollte es mein längster und anstregendster Lauf bisher werden. Ende des letzten Jahres hatte ich Glück und konnte über das Losverfahren einen Startplatz für die Bambini-Version des Lavaredo-Ultra Trails ergattern. Bambini-Version mag jetzt ziemlich kurz und nach Sprintdistanz klingen (und das ist es für Ultra-Läufer sicherlich auch), aber mit 47km und 2650m+ sollte das für mich als Neuling auf diesen Distanzen doch ein ganz schöner Kraftakt werden.
Der Cortina-Trail sollte am Samstag starten und so reiste ich mit meinem Motivator Felix (mein Bruder) bereits am Donnerstag an. Abends gings dann noch zu einem Vortrag zweier Top The North Face Athletinnen (Rory Bosio und Fernanda Maciel). Auf dem Weg dorthin trafen wir zwei 50-jährige Mädels, die mir bereits dort aufzeigten, dass man ja wohl nur zum großen Event hier antritt (Lavaredo Ultra Trail LUT = 120km und ~6000m+) – und das ist ja eigentlich auch gar nicht sooo lang, wenn man drei 100-Meilen Läufe pro Jahr macht… Moral hinüber und ab in den Vortrag, der super inspirierend war. Fernanda hat über ihr erfolgreiches Projekt am Anconcagua berichtet und Rory über ihren Approach: ohne Uhr, ohne Trainingsplan und ohne besonderen Wert auf die Ernährung zu legen, „lediglich“ mit massig Spaß die größten Trailevents der Welt zu rocken.
Vollgepumpt mit Inspiration gings ab ins Bett und Freitag hab ich dann außer der Registrierung und der Kontrolle des Equipments nur in Cortina rumgebummelt – hat sich irgendwie falsch angefühlt, die Beine ruhen zu lassen, wenn mein Bruder in den Bergen spielen geht…
Freitag nachts um 11:00 Uhr ging dann nach einem heftigen Gewitter der LUT los und wir beobachteten den Start, bevor es darum ging, noch möglichst viel Schlaf zu bekommen. Aber ehrlich: warum sprinten denn einige beim Start eines 120km Laufes wie die Besengten los? So stell ich mir Franco bei solch einer Distanz auch vor 😛
Raceday: Um 6 aufgestanden, gefrühstückt, Rucksack gepackt und ab zum Startareal. Nach einem mehr oder weniger gründlichen Aufwärmen wollte ich auf Nachdruck von Martin wieder mal versuchen, mich relativ weit vorn zu positionieren. Aber was war denn hier los? 20 Minuten vor dem Start war da nichts mehr zu holen und ich gab mich wie immer mit der goldenen Mitte zufrieden. Bei ~1300 Startern hieß das dann irgendwo als 700. loszulaufen. Hier ist mir erst aufgefallen, dass viele Läufer mittlerweile mit den HOKAs laufen, quasi die Gegenbewegung zum Minimalschuh – komisch: auf der einen Seite die maximal gedämpften Schuhe, auf der anderen die minimale Version. Wahrscheinlich muss hier einfach jeder sein Ding finden.
Als der Startschuss dann endlich fiel, gings erst langsam und dann immer zügiger auf die Strecke. Innerhalb von Cortina und auf dem nachfolgenden längeren aber nur seicht ansteigenden Trail konnte ich mich an vielen Läufern vorbeischlängeln – den Hügeln der Sächsischen Schweiz sei gedankt. Immer wieder musste ich Stöcken ausweichen, die von ihren Benutzern wild umher geworfen wurden o.O Nach dem ersten Anstieg ging es dann in das Tofana-Massiv hinein und in einer Schlucht entlang – auf ein Mal tauchte dann ein Fluss vor uns auf und ich zögerte etwas, wie und ob ich den denn jetzt überqueren sollte – nachdem mir das dann einige Läufer vorgemacht hatten, ging es mit voller Wucht durch und die Füße waren das erste Mal klitsch-nass – was für ein Spaß! der Fluss wurde dann natürlich noch 2 mal durchquert – warum auch nur 1 Mal, wenn nicht auch 3 Mal geht? 😀 Irgendwann sprach mich ein älterer Italiener (63) auf der Strecke an und als ich ihm dann zu verstehen gab, dass ich dem Italienischen leider nicht mächtig bin, erzählte er mir auf Englisch beim BerganLaufen (!) etwas aus seinem Leben – bei der ersten Edition des Laufes ist er den Cortina-Trail mit 58Jahren noch in 6h15min gerannt… heute läuft er den ersten Teil aber nur zum Spaß mit; so ein kleines Wochenendründchen von 30km und 1400m+ – die Alpen-Opis rocken! Danach schickte er mich los und rief mir hinterher, dass ich mich ranhalten soll und dann auch um die 6h finishen könnte. Gesagt, getan und schon wieder landete ich auf dem Single-Trail hinter einem weiteren Läufer, der das Ganze wohl etwas zu schnell angegangen war. Der Alpen-Opi schloss wieder von hinten auf und schubste mich am Läufer vor mir vorbei 🙂 So ging es dann weiter bergan bis zu einem Pass auf 2350m und dann wieder bergab zur ersten (!) Verpflegungsstelle nach 24km und ~1600m+. Dort wurden die Softflasks nur schnell mit Wasser aufgefüllt, etwas getrunken und dann gings unter den Anfeuerungsrufen meines Bruders weiter bergab bis zum nächsten Anstieg – und der sollte es noch mal so richtig in sich haben. Erst im Laufschritt an den Cinque Torri vorbei und dann weiter im Powerwandermodus bis zum höchsten Punkt des heutigen Trails (~2450m), dort wartete wieder eine Verpflegungsstelle (irgendwie waren die Abstände stark unterschiedlich – Gegebenheiten im Hochgebirge halt). Beim Powerwandern nehm ich immer gern meine Gels oder Riegel zu mir, da es auf den horizontalen Single-Trails oder den Downhills zu kompliziert ist; irgendwie wollte aber nicht mehr als ein halber Riegel rein – egal, angeblich hat ja jeder Mensch genug Fettreserven, um nen Ultra zu laufen 🙂
Hiernach ging es wieder steil bergab – beim Bergablaufen habe ich noch viel zu lernen; dort werde ich oft von den Läufern und Läuferinnen überholt, die ich bergan stehen lasse – irgendwie immer etwas ärgerlich. Es folgten herrlich felsige Single-Trails, auf denen ich mich zu Hause fühlte, bis zum 3.VP., der eigentlich etwas früh kam, da er doch der letzte sein sollte. Merkwürdigerweise war der nächste VP aber mit 7km augeschrieben!? – anscheinend war der VP am höchsten Punkt ein zusätzlicher, den ich gar nicht auf dem Schirm hatte. Weiter gings bis zum letzten wirklich garstigen Anstieg – quasi steiler als von Schmilka über den Bergsteig zum Winterberg (!) und das mit mehr als 2000m+ in den Beinen. Das war dann auch genau das, worauf ich mich immer freue: reicht meine Psyche, um der schwindenden Kraft noch etwas entgegenzustellen? Hat gereicht und ich konnte selbst im Schneckenmodus sogar noch andere Läufer überholen und ab gings in Richtung des tatsächlich letzten VP’s, ab dem es dann nur noch bergab in Richtung Cortina ging. Mit meinem Downhill-Pusher Attila wäre hier natürlich noch wesentlich mehr drin gewesen, aber irgendwie verlässt mich meine Motivation auf den Downhills immer.
Auf dem letzten km spielten meine Emotionen dann komplett verrückt. Mir wurde klar, dass ich es geschafft hatte. Mit stark erhöhter Herzfrequenz war nur noch Nasenatmung möglich; Mund war irgendwie nicht mehr drin und so gab es keinen Zielsprint. Gefühlsexplosion!
Egal, nach 6h02min brutto lief ich als 40. von >1000 Männern ins Ziel – eine Wahnsinnszeit für mich!
Geiles Event, hammer Panorama und Wahnsinnsläufer!
Was bleibt, ist weder die Zeit, noch die Platzierung! Der Lauf, das Panorama der Felsenwelt, die geilen Anstiege, die tollen felsigen Single-Trails, die netten Läufer und meine Freunde, die da waren – der Wahnsinn!
Komme ich wieder? In die Dolomiten: selbstverständlich! Zum Lauf: wohl eher nicht; es gibt noch tausend andere Trails, die auf mich warten. Wenn, dann nur zum richtigen Ultra – irgendwann in ferner Zukunft… 🙂
Das mit dem Beine hochlegen beherrsche ich ja noch nicht und so gabs ab dem darauffolgenden Tag aktive Regeneration: Bouldern am Valparolapass, Bouldern in der steinernen Stadt und etwas Powerwandern zum Abschluss 😉
Voller Motivation und mit der heimlichen Hoffnung, Annes „Läufer der Woche“-Titel der Laufgruppe abzusahnen, bin ich am darauffolgenden Donnerstag ausnahmsweise mal wieder zum Lauftreff gekommen. Aber es sollte einfach noch nicht gereicht haben. 🙁 Naja, Kopf hoch. Mit der nächsten Herausforderung (dem Trail Serre Chevalier) klappts bestimmt!
Bericht: Max Wiebicke